Überbündisches Treffen 2017 auf dem Allenspacher Hof

Geschichten vom ÜT '77

Vor 40 Jahren ........ wie war das seinerzeit?

 6. Überbündisches Treffen  Pfingsten 1977 auf dem Allenspacher Hof

Rückblick, Daten, Anekdoten und Beobachtungen

von Helmut, Lagervogt des 6. ÜT 77

Ein versunkenes Dorf und die Evangelische Jungenschaft HORTE

Allenspach war einst ein Dorf, abgegangen in der Zeit des 30-jährigen Krieges. Warum, weshalb? Das weiß man bis heute nicht so richtig, denn wer interessiert sich schon für das Schicksal eines kleinen Dörfleins, hier oben, auf 900 m Höhe, in der kargen Landschaft im Südwesten der Schwäbischen Alb. Weltgeschichte wurde hier bestimmt nicht geschrieben, wenn auch vielleicht (über-)bündische Geschichte.

Anfang der 1960er-Jahre stieß eine Fahrtengruppe auf den Rest dieses Dorfes mit dem um 1560 erbauten Allenspacher Hof. Das alte Gemäuer, die umgebende Landschaft mit seiner Schafweide und die Abgeschiedenheit schien uns geeignet, eine Bleibe für unseren Bund zu schaffen. Seit 1966 bis heute durch zahllose Bau-Mannschaften an Wochenend- und Sommer-Baulagern um- und ausgebaut, wurde der einst heruntergekommene Hof zum äußeren Zentrum der Evangelischen Jungenschaft HORTE.

Das Mega-Projekt

Ende der 1960er / Anfang der 1970 er-Jahre stürzte die Bündische Jugend in eine tiefe (politische) Krise. Die Überbündischen Treffen wurden nicht mehr fortgesetzt, denn die Gruppen und Bünde waren zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Als dann Mitte der 1970er-Jahre eine gewisse Konsolidierung eintrat und Klärungsprozesse stattgefunden hatten, trug man sich vielerorts mit dem Gedanken, einen Versuch für ein ÜT zu machen. Doch niemand wollte es wagen. Macht es doch, wurden wir von verschiedenen Seiten ermuntert. Unser kleiner und damals noch relativ junger Bund hat es dann angepackt.

Handgestrickt, aber schwäbisch solide!

Eine kleine, äußerst engagierte Stamm-Mannschaft von etwa 25 Jungenschaftlern mittleren Alters begann mit den Vorbereitungen und zog nachher auch das Lager durch. Denn unsere Jungenschaftsgruppen selbst sollten - frei von organisatorischen Verpflichtungen - unbeschwert am Lagerbetrieb teilnehmen können. Zur inhaltlichen Abstimmung gab es nur 2 Vorbereitungstreffen mit anderen Bünden. Die Technik machten wir jedoch alleine. Die Behörden ließ man dabei möglichst außen vor - das ging damals noch - vom Ort Böttingen wurden wir jedoch kräftig unterstützt. Es entwickelte sich eine eigene Dynamik. Selbermachen ist geil! Heute sagt man – zumindest auf der Alb: Mir kennet älles ...... bloß et hochdeutsch!

Wir schaffens!

Im Winterhalbjahr, an vielen Wochenenden, schlugen wir 1000 Kohtenstangen und 700 Jurten- und Baustangen im nahen Wald, meist bei Schnee wurden sie gleich abgeastet und beim Hof gelagert. Hinzu wurden große Mengen Brennholz von oft weither herbeigeschafft, denn Laubbäume sind in dieser Gegend rar. Dann kam die vorzubereitende Technik und Aufbauarbeit: Pläne, Schilder, Sanitär, Waschplätze, Tribüne, Elektrik, eine  über 2 km lange Leitung für ein Not-Telefon, Wasserversorgung durch die Feuerwehr, Müllentsorgung, und, und ....

Behörden

Das waren noch Zeiten! Umweltverträglichkeitsprüfung, Sicherheitskonzepte, Notfallpläne und was sonst alles heutzutage gefordert wird, waren keine Themen zu der Zeit. Lediglich die Polizei schrieb für die Landstraße, bevor der Feldweg zum Allenspacher Hof abzweigt, einen "Geschwindigkeits-Trichter" vor. Also erstellte man einen Plan, ließ diesen genehmigen, holte Verkehrsschilder auf dem Bauhof im nahen Böttingen und drosselte mit diesen schrittweise auf die vorgeschriebene Geschwindigkeit.

Ein Arzt vom Gesundheitsamt kam einige Wochen vor dem Lager auf den Hof, um die Kochstellen zu besichtigen. Als er die kleine Küche sah, fragte er, ob wir da für ein paar tausend Leute kochen würden. Nein, war unsere Antwort, wir kochen da nur Kaffee oder Tee für die Lagermannschaft, denn die Lagerteilnehmer kochen auf der Wiese am offenen Feuer. Auf Wiedersehen sagte er daraufhin und zog ab. Das war es dann auch schon mit den Behörden.

Scheibchenweise

Wieviel Teilnehmer werden kommen? Das war die große Frage! Werden es ein paar hundert, oder tausend, oder gar noch mehr? Erfahrungswerte fehlten, das bündische Anmeldungsverhalten ließ auch damals schon zu wünschen übrig. Welche Zahlen also dem Bürgermeister nennen, denn der Allenspacher Hof und das umgebende Gelände ist Eigentum der Gemeinde Böttingen. „Ein paar hundert“, sagten wir auf dem Rathaus. Später: "s' kennet au tausend werda", und einige Wochen vor dem Lager: "Herr Bügermeischter, vielleicht werdets au a paar tausend!" Denn je näher das Lager rückte, gingen kurz vor knapp immer mehr Anmeldungen ein. Schließlich wurden es 3700 Teilnehmer aus etwa 50 Bünden, die 520 Kohten und 80 Jurten auf einer Lagerlänge von 800 m und 200 m Breite stellten.

Die Nacht der langen Messer, oder Glück gehabt!

Die Bünde kamen aus allen Richtungen, zu Fuß, mit PKW und Bus. Wir hatten einen Plan, auf dem die Lagerwiese in Parzellen eingeteilt war. Die Größe dieser war gemäß der von den Bünden gemeldeten Anzahl Kohten und Jurten ausgelegt. Und das wäre beinahe schiefgegangen, denn in der Nacht vom Freitag auf Pfingstsamstag gab es einen Massenandrang, den wir eigentlich geahnt hatten und deshalb im Voraus "Die Nacht der langen Messer" nannten. Nicht beachtet hatten wir jedoch, dass bei Nacht ein Lagerplatz anders wahrgenommen wird als bei Tage. Nur einer unserer Jungenschaftler, von Beruf Vermessungstechniker, hatte dies wohl geahnt und die Parzellen des Lagerplatzes mit durchnummerierten Stöcken abgesteckt, sodass auch in der Dunkelheit und dem aufkommenden Nebel jeder Bund anhand der Markierungen seinen ihm zugeteilten Platz selber finden konnte. Manche haben dann spät in der Nacht nicht mehr das Zelt aufgestellt, sondern sich einfach nur mit dem Schlafsack auf den Boden gelegt. Verflixt kalt war es und am anderen Morgen stellten sie dann verwundert fest, dass das Gras einen Raureif hatte. Isomatten waren damals noch nicht in Mode.

Die Nerother kommen!

Am Samstagmorgen ging ein Gerede durch das Lager, dass im 2 km entfernten Dorfe Böttingen 400 Nerother eingetroffen wären und der Großteil in der vergangenen Nacht in den Gassen, auf den Plätzen und in den Scheunen übernachtet hätten. Der kleine Ort wäre vom den Nerothern regelrecht überschwemmt worden. Doch wo blieben sie jetzt? Die Eröffnungsfeier mit den Liedern und Reden war gerade vorbei, da hörte man es: Trommeln in der Ferne. Über die Landstraße von Böttingen her wälzte sich eine nahezu endlos lange Menschenschlange Richtung Allenspacher Hof. Dann zogen sie durch das ganze Lager, da ihr Platz in der hintersten Ecke lag. Zum Schluss im riesengroßen Kreis das Bundeslied: Horrido! Sie wollten sich ihre Schau nicht stehlen lassen. 

Die Pimpfe und das Feuerholz

Die das Lagergelände umgebenden Wälder bestehen meist aus Nadelholz und bekanntermaßen ist dieses für Kohtenfeuer weniger geeignet. Laubholz ist jedoch in der ganzen Gegend eine Rarität. Mühevoll war deshalb das Holzmachen. Dürrstände mussten gefällt und zum Lagerplatz transportiert werden. Doch dann gab es einen Tiefschlag. Wie die Geier stürzten sich die Pimpfe der ankommenden Bünde auf die Holzhaufen. Das gute, trockene Buchenholz, wir hatten es extra für die Kohtenfeuer ausgesucht, war an einem Nachmittag auf die halbe Menge reduziert worden. Wahre Freudenfeuer wurden veranstaltet. Uns kamen die Tränen.

Einflugschneise und Mädchenschlüpfer

Da war ein Pfadfinderbund aus dem hohen Norden, die hatten einen älteren, etwas beleibteren Bundesführer. Dieser führte seinen Bund wie ein General. Das Lager dieses Bundes bestand aus zwei gleichen aufeinanderzulaufenden Kohtenreihen. Über jeder Kohte hoch oben eine Petroleumlampe, rot über der einen Reihe, grün über der anderen. Bei Nacht sah dies aus wie die Positionslampen einer Einflugschneise. Anordnungen gab der Bundesführer, der übrigens in einem nahen Hotel übernachtete, mit dem Megaphon. "Steh nicht so nackt herum", rief er mit diesem einem Mädchen zu, wobei er sich nicht auf den fehlenden Rock des Mädchens, sondern auf dessen fehlendes Barett bezog. Der Lagerplatz dieses Bundes durfte nicht betreten werden, ausgenommen Lagervogt und Lagerstreife, denn diese waren ja "Amtspersonen". Die Pimpfe durften nur in Vierergruppen durchs Lager marschieren, die Jungs kurzer Haarschnitt, Jungs und Mädchen in Hose und Rock jeweils gleich gekluftet, sogar die Socken gleichfarbig. Fragt doch einer unserer Jungenschaftler: Ob wohl die Mädchen wohl alle auch gleichfarbige Schlüpfer tragen?

Bis zum Ellenbogen in der Scheiße

Die Jungs pinkelten in den Wald, für das dicke Geschäft und für die Mädchen stand ein Klowagen beim Allenspacher Hof. Doch bei dem funktionierte wegen eines technischen Fehlers die Wasserspülung nicht richtig (organisatorische Fehlleistung des Lagervogts – bitte nicht weitersagen). Unser Kamerad Franz, als Kind auf der Flucht aus Ostpreußen einen Arm verloren, war gewohnt, mit nur einem Arm alles zu erledigen, egal was auch an Arbeit anfiel. Die verstopften Schüsseln mussten wegen der Wasserknappheit immer wieder freigemacht werden, am schnellsten ging es von Hand, mit einem Arm, der dann öfters bis zum Ellenbogen in der Schüssel steckte. Franz war der stille Held des Lagers!

Neuer Aufbruch, oder Abgesang?

Nach dem Lager waren die Bündischen Gazetten voll des Lobes. Gewürdigt wurden die Leistungen der Evangelischen Jungenschaft HORTE als Organisator und Gastgeber. "Ein Wagnis eingegangen, still dienend" hieß es. In der inhaltlichen Bewertung des Treffens gab es jedoch bereits gegen Ende des Lagers, beim Gastmahl der Bundesführer, unterschiedliche Meinungen, ja es kam dabei sogar zu einem Eklat: Die Mehrzahl der Anwesenden sprach von „der Überwindung der bündischen Rezession“, „vom Hoffnungsstrahl am Horizont“, „dass Allenspach weiterwirken wird“, „von neuem Schwung und neuem Aufbruch, der sichtbar geworden wäre“. Der Bundesführer jenes Bundes, der für sich in Anspruch nimmt, dass (nur) sie die reine Tradition der Jugendbewegung fortführen, widersprach allerdings heftig. Mit knappen, wohlgesetzten Worten fegte er die gesamte bündische Welt und das Lager vom Tisch. „Abgesang der Bündischen Jugendbewegung“, nannte er es und verschwand mit seinem Kanzler aus dem Saal. "Für Minuten sank der Allenspacher Hof in Trümmer ...", so beschrieb einer später diese Situation.

Doch die darauffolgenden Jahre sollten zeigen, dass die Mehrheit Recht behalten sollte. Das ÜT 77 wirkte weiter, nicht nur in der bündischen Welt, sondern auch in ‚normale‘ Welt hinaus, denn das bündische Engagement beim Kirchentag geht nicht zuletzt aus dem Zusammenrücken in dieser Zeit hervor; wer weiß, was aus unserem Treffen hervorgeht? Das entscheiden wir alle zusammen.

 

Newsletter

Bleib auf dem Laufenden!